100 Places in Berlin by Sarah Eick

“Iconographic images from Berlin are well known and in different tonalities: Sarah Eick now succeeds in the great feat that still demands admiration even from Urberliner:innen who have seen a great many photographs of their hometown: her photos undoubtedly reproduce Berlin motifs, but at the same time they are works of a great, translocal, abstract-poetic quality. Peculiarly contextless, almost like UFOs, the familiar buildings and city views appear. Without any form of historicizing or nostalgic pathos, Eick gives them great dignity. “Even a snack booth looks sublime in her work.” – Tanja Dückers, writer, publicist and art historian. Well-known places, whether Fehrbelliner Platz, Kino International, the water circulation tank at the zoo, the Charité high-rise, the Old Congress Hall or Teufelsberg, are always unpopulated in her work. One has hardly ever seen Berlin like this. This bare representation makes the city appear different.”

 

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Still.Leben.Berlin 

 

Ikonographische Bilder aus Berlin kennt man zu Genüge und in verschiedenen Tonalitäten: Links-nostalgische Multikulti-Bilder aus Kreuzberg und solche mit bunten Mauergraffiti-Künstlern am Werk. Als Feier des Neuen mit glitzerndem Sony Center, Friedrichstraße, Hackeschen Markt und Sonnenbadenden an der Spree. Oder Ansichten von Berlin in der Moll-Tonlage: kahle, rußig Brandmauern, Brachen mit einem einzelnen Gänseblümchen, alte Grenzanlagen …

In Fotoausstellungen zu „Berlin“ meint man, von Ostberliner Vorwende-Tristesse und kaputter Glorie über flirrend-coole Clubkultur bis hin zum urlaubslieblichen Zehlendorfer Segel-Idyll meist alles wiederzusehen, was man zu kennen glaubt. Gemeinsam ist vielen Berlin-Fotografien, dass sie stark vom Sujet geleitet sind. Berlin hat und erzählt so viel Geschichte! Das ist gewissermaßen Reiz und Tücke, für alle Kulturschaffenden, die sich an dieser eigentümlichen Stadt abarbeiten, ob in der Literatur, im Film, der Bildenden Kunst oder eben auch in der Fotografie. Sarah Eick gelingt nun das große Kunststück, das auch Urberliner:innen wie mir, die sehr viele Fotografien über ihre Heimatstadt gesehen haben, noch Bewunderung abverlangt:

Denn ihre Fotos geben zweifellos Berliner Motive wieder, doch gleichzeitig sind es Werke von einer großen, translokalen, abstrakt-poetischen Qualität. Von der vordergründigen Berlin-Szenerie lösen sie sich ohne diese zu negieren. Mit der kühlen Architektur-Fotografie der stummen Linie und des spitzen Winkels hat ihre Fotografie nicht direkt zu tun. Das kunstvolle Oszillieren zwischen Abbildung und Verfremdung, zwischen dem Partikular-Konkreten des visuell bekannten Stadtraums und dem Ungreifbar-Universalen, zwischen dem Zeittypischen und dem Überzeitlichen macht den Reiz von Sarah Eicks ungewöhnlichen, starken Fotos aus. Diese Kluft, die feine Irritation zwischen den verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung schließt Eick bewusst nicht. Von fern klingt hier etwas an von Adornos „Nicht-Erklärbarkeit“ und den „Widerstand“ des Kunstwerks (Ästhetische Theorie) und von der „Inkommensurabilität“, dem „Quasi-Charakter“ des Kunstwerks nach Lyotard (Die Analytik des Erhabenen). Prosaisch ausgedrückt: es ist der geheimnisvolle Rest, der die Werke auszeichnet, die sich nie „auserzählt“ haben.

Eigentümlich kontextlos, fast wie Ufos, wirken die bekannten Gebäude und Stadtansichten Berlins bei Sarah Eick. Ohne jede Form von historisierendem oder nostalgischem Pathos lässt Eick ihnen eine große Würde zukommen. Selbst eine Imbiss-Bude sieht bei ihr erhaben aus. Bekannte Orte, ob Fehrbelliner Platz, Kino International, Wasserumlauftank am Zoo, Charité-Hochhaus, Alte Kongresshalle oder Teufelsberg, sind bei ihr stets 1 unbevölkert. Kaum hat man Berlin je so gesehen. Diese nackte Darstellung lässt die Stadt anders erscheinen. Ohne Mythos, Kiez-Romantik, Tante Emmas mit Hunden, ohne Punks und DJs, ohne Teilungs-Tristesse und ohne Dämonisierung – Berlin, ohne routiniert erzählte Geschichten.

Und doch: Berlin anhand dieser stillen Bilder. Auch sie erzählen von der Stadt. Aber als Betrachter:in muss man sich diese Geschichten bei Eick erst selber erarbeiten, die Linien abfahren, den Blick neu über schwungvolle Siebziger-Jahre-Balkons oder kantig-monströse Brandmauern schweifen lassen. Partizipation ist gefragt. Berlin ist eine fordernde, eine verwirrende Stadt, in der jedes Gebäude seinem nächsten zu „widersprechen“ scheint. Und es ist eine Metropole, die sich schnell wandelt. Mit einer auf den Augenblick reduzierten, narrativen Bildsprache würde man ihr nicht, über den fotografischen Tagebuchcharakter hinaus (welcher auch seinen Reiz haben kann), gerecht werden. Also: Fotos der einzigen Großstadt Deutschlands, wie sie nicht gelungener sein könnte(n). Und diese auch noch zum Verschicken im Postkartenformat! 

Tanja Dückers (*1968) ist Schriftstellerin, Publizistin und Kunsthistorikerin. 

© Tanja Dückers 2 

 

 

 

 

Photographer:
Sarah Eick
Location:
Berlin
Special thanks to:
Www.seltmannpublishers.com
Text:
© Tanja Dückers